Im Geröll liegt eine Feder.

Seit sieben Tagen war Moshe unterwegs.

Sein Gesicht war verkniffen und seltsam ausgelaugt.

Moshe hatte keine Haare mehr und trotzdem sah er sehr jung aus.

Er trug ein dreckig-graues Gewand. Das merkwürdige war jedoch, daß seine Augenlider zugenäht waren,

so daß er nichts mehr sehen konnte.

Eine seltene Form der Blindheit.

 

Die Landschaft, die er durchschritt, war karg wie eine Wüste.

Am dritten Tag hatte er seine Füße von den Fetzen befreit, die ehedem seine Schuhe waren.

Seitdem lief er barfuß.

Der Himmel war seltsam lila.

 

Heute hingen wieder Fetzen an Moshes Füssen.

Doch er konnte sich nicht davon befreien, denn die Fetzen waren aus seinem Fleisch.

 

Moshe lief unermütlich. Er lief und lief und lief.

 

Am Himmel kreuzten immerzu jene großen, weißen Vögel.

Bei jedem Flügelschlag verloren sie eine weiße Feder. Seit sieben Tragen folgte Moshe den Federn und färbte sie rot.

 

Die Vögel waren nahezu nackt. Und so erkannte man, daß es eigentlich keine Vögel waren, sondern sonderbare Wesen,

die wohl am besten mit einem Pferdeembryo oder einem ungeborenen Rind zu vergleichen waren.

Lediglich ihre ungewöhnlich langen Gliedmaßen sprachen dagegen – und eben die Tatsache, daß sie fliegen konnten.

 

Doch dies alles vermochte Moshe natürlich nicht zu sehen.

 

Als die letzte Feder aus der Höhe herabschneite, fielen alle Flugwesen unter einem markerschütternden Kreischen vom Himmel.

Es waren genau drei.

 

Moshe stutzte.

 

Doch, als er mit seinem nackten Füßen in die drei feingliedrigen Leichen trat, wußte er, daß er am Ziel war.

Er zerquetschte ihre Körper, so daß ihr grünliches Blut hervorquoll. Ihre Innereien schmiegten sich um seine geschundenen Füsse,

wie süße Trauben um die Füße der Weinbauern.

Augenblicklich verheilten seine Wunden.

 

Vor Moshe erhob sich ein Hügel.

Er bestand aus lauter Totenschädeln.

Ihre leeren Augenhöhlen stierten Moshe so kalt an.

Doch Moshe sah nichts und also konnte er sich nicht fürchten.

Lediglich jenes unheimliche Geräusch drang direkt unter seine Haut – wie eine Heerschar singender Termiten.

 

Schädelstätte.

 

Es summte fortwährend.

Doch als Moshe genauer hinhörte, umspielte ein Lächeln seine zerrissenen Lippen.

Denn der Gesang war schön. Ein weicher, choraler Klangteppich.

Vielleicht waren es doch keine Termiten, sondern Engel, dachte Moshe.

Auf der Schädelstätte prangte ein drei bis vier Meter hohes Kreuz.

Daran hing ein nackter Mann.

Sein Körper war mit Nägeln fixiert, die durch seine Unterarme und seine Füße geschlagen waren.

An seiner Seite klaffte eine große Wunde.

Um sein Haupt war eine Krone aus Dornen gewunden.

 

Moshe schritt hinzu und legte seine Hand in die geöffnete Körperflanke.

Der Mann am Kreuz lächelte.

 

In diesem Moment zerrissen die Fäden, mit denen Moshes Augen zugenäht waren und er konnte sehen,

daß der gekreuzigte Mann nackt war. So nahm Moshe sein Gewand ab und umhüllte damit den Mann am Kreuz.

 

Er zog sich die Fäden aus seinen Lidern, nahm einen Splitter von dem Holzkreuz und nähte das Gewand zusammen.

 

Moshe war also nackt.